Kann es sich auch bei persönlichem Kontakt um einen Fernabsatzvertrag handeln? (OGH 23.09.2025, 5 Ob 168/24b)

Erstellt von Mag. Astrid Jacoby |
Zivilrecht , Vertragsrecht
  1. Einleitung

    Verbraucher sind durch das Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (idF „FAGG“) besonders geschützt, wenn Verträge mit Unternehmern im Fernabsatz geschlossen werden. Darunter sind Verträge zu verstehen, bei denen einschließlich des Zustandekommens des Vertrages ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden (zB Webshop, E-Mail, Telefon, SMS, WhatsApp). Der besondere Schutz des FAGG umfasst insb. ein 14-tägiges Rücktrittsrecht des Verbrauchers ohne Angabe von Gründen.

  2. Sachverhalt

    Der Käufer (Verbraucher) erwarb von der Verkäuferin (Gebrauchtwagenhändlerin) ein Fahrzeug, nachdem er das Fahrzeug auf der Internetseite der Verkäuferin gefunden hatte. Vor Vertragsabschluss führte der Käufer eine Probefahrt durch, ohne mit Mitarbeitern der Verkäuferin über den Kaufpreis zu sprechen oder Vertragsverhandlungen zu führen. Der Kaufvertrag wurde anschließend per E-Mail übermittelt und vom Käufer elektronisch unterschrieben. Nach Übergabe des Fahrzeugs erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß § 11 FAGG und forderte die Rückzahlung des Kaufpreises.

  3. Ausführungen des OGH

    Ein persönlicher Kontakt zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Phase der Vertragsanbahnung steht der Qualifikation als Fernabsatzvertrag nur entgegen, wenn es im Rahmen dieses Kontakts zu Vertragsverhandlungen gekommen ist.

    Die bloße Durchführung einer Probefahrt vor Vertragsabschluss dient lediglich der Einholung von Informationen und nicht der Vertragsverhandlung. Sie steht daher der Qualifikation als Fernabsatzvertrag nicht entgegen.

    Da der Käufer (= Kläger) bei der Probefahrt keine Vertragsverhandlungen führte und es ihm nicht möglich war, solche zu führen, ist der Vertrag als Fernabsatzgeschäft zu qualifizieren, von dem der Käufer binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten konnte.

  4. Fazit

  • Das FAGG kann (zwingend) anzuwenden sein, selbst, wenn es vor Vertragsabschluss persönlichen Kontakt zwischen den Vertragsparteien gab. 

  • Entscheidend ist, ob es bei dem persönlichen Kontakt zu Vertragsverhandlungen kam. 

  • Eine Probefahrt, bei der der Käufer die Möglichkeit hat, das Kaufobjekt vor Vertragsabschluss in Augenschein zu nehmen, ist als bloße Einholung von Informationen zu qualifizieren. 

  • Daher handelte es sich vorliegenden Fall (trotz Probefahrt) um einen Fernabsatzvertrag, bei dem der Käufer das 14-tägige Rücktrittsrecht geltend machen konnte.