Auswirkungen des „Brexit“ auf die Vollstreckbarkeit zivilgerichtlicher Entscheidungen

Erstellt von Mag. Peter Martin |
Civil Law , Zivilrecht

Der „Brexit“ gilt seit 01.01.2021. Dies wirf zahlreiche juristische Fragen auf, ua die wechselseitige Anerkennung der Vollstreckbarkeit zivilgerichtlicher Entscheidungen zwischen Österreich und dem Vereinigten Königreich.

1. Aufgrund der EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichtes (UK) und der damit verbundenen Wirksamkeit der EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) waren bislang  österreichische  Zivilgerichtsurteile (und die aller übrigen EU-Länder) im UK vollstreckbar und umgekehrt. Seit Austritt des UK aus der EU ist die EuGVVO im UK nicht mehr anwendbar (die EuGVVO gilt noch für alle Verfahren, die bis zum 31.12.2020 eingeleitet wurden).

2. Ein Pendant zur EuGVVO ist das „Lugano Übereinkommen von 1988“ (Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Es regelt die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen zwischen der EU, der SchweizNorwegen und Island. Im April 2020 stellte das UK einen Beitrittsantrag.

Dazu bedarf es der Zustimmung sämtlicher Vertragsparteien, dh Norwegen, Dänemark, Island, der Schweiz und der EU. Diese muss bis April 2021 erfolgen. Bisher haben Island, Norwegen und die Schweiz zugestimmt, die Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten steht noch aus.

3. Seit 01.01.2021 gilt zwischen dem UK und den EU-Mitgliedstaaten das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen. Dieses regelt ebenfalls die Anerkennung und Vollstreckbarkeit zivilgerichtlicher Entscheidungen. Das Übereinkommen gilt jedoch nur für Verträge, in denen ein ausschließlicher Gerichtsstand in Zivil- und Handelssachen vereinbart ist und an denen kein Verbraucher beteiligt ist.

4. Strittig ist, ob das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ; Vorgängerbestimmung des EuGVVO) wieder auflebt und zur Anwendung kommt.

5. Aktuell ist der zwischen Österreich und dem UK geltende bilaterale Vertrag über die „Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ relevant. Diese hat jedoch eine formale Hürde: Die zu vollstreckende Entscheidung muss gemäß dem Verfahren des Zweitgerichts (dh des Gerichtes, von dem die Entscheidung anerkannt werden soll) registriert werden. Ein österreichischer Gläubiger, der vor einem österreichischen Zivilgericht ein Urteil gegen einen im britischen Schuldner erwirkt, muss sich daher zur Vollstreckung im UK – zumindest bis zum allfälligen Beitritt des UK zum „Lugano Übereinkommen“ – mit den Besonderheiten des britischen Rechtes auseinandersetzen.