Ordnungsgemäße Kundmachung von Betriebsvereinbarungen (Oberlandesge-richt/OLG Graz 10.04.2025, 6 Ra 8/25f)

Erstellt von Mag. Sylvia Unger |
Arbeitsrecht
  1. Was ist eine Betriebsvereinbarung?

    Eine Betriebsvereinbarung (BV) ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber (AG) und Betriebsrat, die für alle Arbeitnehmer (AN) des Betriebs gilt und Regelungen zu arbeitsrechtlichen Themen (zB Arbeitszeiten, Urlaub etc.) enthält. 

    Damit Betriebsvereinbarungen ihre Geltung entfalten können, müssen sie ordnungsgemäß kundgemacht werden. BV müssen demnach im Betrieb (Arbeitsstätte) für alle AN zugänglich aufgelegt werden oder an sichtbarer, ebenfalls für alle AN zugänglicher Stelle angeschlagen werden. Erfolgt dies nicht, entfalten BV keine normative Wirkung (§ 30 Abs 1 ArbVG). 

     

  2. Sachverhalt 

    Der Kläger und ehemalige AN war von 2017 bis 2022 im Betrieb des beklagten AG beschäftigt. Im Betrieb gab es eine BV zur Gleitzeit. Diese wurde auf einem betriebsinternen Computerlaufwerk in einem eigenen Unterordner gespeichert. Es ließ sich nicht feststellen, ob der AN während seiner gesamten Dienstzeit Zugriff auf das Laufwerk hatte, ebenso nicht, ob die fragliche BV für alle AN zugänglich im Betrieb auflag. Der AN wurde während seiner Dienstzeit auch nie darauf hingewiesen, dass die Gleitzeitbetriebsvereinbarung überhaupt existierte. Auch in seinem Dienstvertrag war die BV nicht erwähnt. Das führte dazu, dass Überstunden nach ganz anderen Maßstäben zu bezahlen waren.

     

  3. Rechtsansicht des OLG Graz

    Das OLG Graz orientierte sich bei seiner Urteilsfindung an der bisher ergangenen Rechtsprechung des OGH zu ähnlichen Fällen (zB OGH 28.01.2009, 9 ObA 168/07g, OGH 26.07.2012, 8 ObA 3/12t). 

    Das Auflegen einer BV ist eine Form der Kundmachung, Auflegen allein genügt aber nicht. Denn im Gegensatz zum Anschlagen an einer für alle AN zugänglichen Stelle, bei der die BV frei sichtbar am „schwarzen Brett“ hängt, haben AN ohne Anschlag oftmals keine Möglichkeit überhaupt davon zu erfahren, dass eine BV abgeschlossen wurde. Deswegen muss im Fall des Auflegens der BV zusätzlich durch für alle AN zugänglichen Anschlag bekannt gemacht werden, dass eine BV zur Einsicht aufliegt. 

    Diesem Prinzip folgend urteilte das OLG Graz, dass wenn BV digital im Intranet des Betriebs veröffentlicht werden, entsprechend darauf hingewiesen werden muss. Dies kann zB durch Anschlag oder auch per E-Mail an alle AN erfolgen, in der einerseits mitgeteilt wird, dass eine BV abgeschlossen wurde, und andererseits wo und wie darauf zugegriffen werden kann. 

    Der Hinweis auf die BV muss jedenfalls dieselben Anforderungen erfüllen wie ein Anschlag (Zugänglichkeit für alle AN) und muss auf den Abschluss der konkret betroffenen BV deuten. Eine allgemeine Kundmachung am schwarzen Brett oder per E-Mail, dass alle BV beispielsweise im Sekretariat aufliegen, ist nicht ausreichend und kann dazu führen, dass BV ihre normative Wirkung nicht entfalten können. 

     

  4. Fazit

    Die ordnungsgemäße Kundmachung einer BV ist genauso wichtig wie ihr Abschluss selbst. Ohne Kundmachung gilt eine BV nicht. BV können entweder per Anschlag kundgemacht werden, oder sie liegen im Betrieb zur Einsicht auf (dann muss per Anschlag auf Abschluss und Einsehbarkeit der konkreten BV hingewiesen werden). BV können auch digital kundgemacht werden, es gelten dieselben Anforderungen wie an die analoge Kundmachung. AN müssen per E-Mail auf die Aufrufbarkeit der BV im Intranet aufmerksam gemacht werden sowie Zugang zum jeweiligen Speicherort haben. Zusätzlich solle die BV beim AG oder Betriebsrat für die AN einsehbar sein.