Das Ausmaß der prognostizierten Arbeitslosigkeit bei Beurteilung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung

Created by Mag. Christoph Fasching, MBA |
Arbeitsrecht

Ein Arbeitnehmer kann eine Kündigung wegen Sozialwidrigkeit anfechten. Die Anfechtung bedarf zum Erfolg primär des Nachweises, dass dadurch wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden.

Bei Beurteilung der Interessenbeeinträchtigung ist 

  • die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, 

  • das Alter des Arbeitnehmers, 

  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit und

  • gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen

zu berücksichtigen.

Da jede Kündigung die Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt und mit sozialen Nachteilen verbunden ist, müssen Umstände vorliegen, die eine Kündigung für den Arbeitnehmer über das normale Maß hinaus nachteilig machen.

 

Einkommenseinbußen: 

Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen. Bei Einkommenseinbußen ist nicht auf starre Prozentsätze abzustellen. Mag etwa eine Einkommenseinbuße von 30 % bei einem geringen Einkommen für die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung ausschlaggebend sein, muss dies bei einem höheren Einkommen noch nicht der Fall sein. 

In einer Durchschnittsbetrachtung deuten laut OGH Verdiensteinbußen von 20 % oder mehr auf gewichtige soziale Nachteile hin.

 

Dauer der zu erwartenden Arbeitslosigkeit:

Die Rechtsprechung ist im Hinblick auf die zumutbare Dauer der zu erwartenden Arbeitslosigkeit unterschiedlich. So wurde unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Einzelfall 

  • eine Dauer von etwa neun, zehn oder zwölf Monaten als Beeinträchtigung wesentlicher Arbeitnehmerinteressen qualifiziert (zB 8 ObA 62/08p), 

  • jedoch bei prognostizierten sechs bis acht Monaten (9 ObA 145/99k) oder sechs bis zwölf Monaten und zu erwartendem Fix‑Einkommen etwa in der bisherigen Größenordnung eine Beeinträchtigung ebenso verneint (9 ObA 58/06d),

  • wie bei einer innerhalb von neun bis zwölf Monaten ab Ausspruch der Kündigung erwartbaren, ungefähr gleich dotierten Vollzeitbeschäftigung (9 ObA 93/08d).

 

Aktuelle Entscheidungen des OGH zur prognostizierten Arbeitslosigkeit:

1. Keine sozialwidrige Kündigung bei Aussicht auf gleich hohes Einkommen nach spätestens 12 Monaten

Im Falle eines 59 Jahre alten Arbeitnehmers, der für zwei Kinder sorgepflichtig ist, sah der OGH angesichts seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der seiner Familienangehörigen keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung. Er kann bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche am allgemeinen Arbeitsmarkt mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb von zehn bis zwölf Monaten ab Wirksamwerden der Kündigung ein dem zuletzt annähernd vergleichbares Dienstverhältnis ohne Gehaltseinbuße erlangen (OGH 26.09.2024, 8 ObA 38/24g).

 

2. Keine Sozialwidrigkeit bei 44 jähriger Arbeitnehmerin, die nach vier bis sechs Monaten Arbeitsplatzsuche ein „gleichbleibendes“ Gehalt erzielen kann

Der OGH sah keine Interessenbeeinträchtigung im Falle der Kündigung einer 44-jährigen Arbeitnehmerin mit Eigentumswohnung und ohne Sorgepflichten nach rund 22 Jahren Betriebszugehörigkeit, die nach vier bis sechs Monaten Arbeitsplatzsuche ein „gleichbleibendes“ Gehalt erzielen kann und allfällige Gehaltseinbußen jedenfalls unter 20 % betragen werden (OGH 23.10.2024, 9 ObA 73/24m).